Affektlogik - wenn das Fühlen Wahrnehmung, Denken und Verhalten bestimmt

Manche Erlebnisse hinterlassen tiefe Spuren und können das Verhalten grundlegend bestimmen, ohne dass sie bewusst zugeordnet werden. Vor diesem Hintergrund setzt dann oft eine Affektlogik ein, die nicht nur unser Verhalten, sondern auch unser Denken und Wahrnehmen beeinflusst.



Ich möchte zur Veranschaulichung eine Geschichte erzählen: Wie jeden Tag fährt Alex mit dem Rad zum Bahnhof und von da aus mit dem Zug zur Arbeit. Heute muss sie bei der Rückkehr feststellen, dass ihr Drahtesel „anders“ aussieht: Das Hinterrad ist demoliert, der Sattel fehlt.

Was jetzt und später in ihr abläuft beschreibt ganz treffend das Phänomen der Affektlogik. Sie steht da, schaut auf das Fahrrad, schaut sich um. Sie versucht gleichzeitig zu verstehen, was hier passiert ist und welche Bedeutung das für sie hat. In ihr kommt Wut hoch. Wer hat ihr das angetan? Sie will ihren Ärger an diese Person richten! Und kann nicht. Es ist niemand habhaft zu machen. Sie ist auch traurig über ihr nun kaputtes Fahrrad. Wie kommt sie morgen zum Bahnhof und jetzt ganz konkret erstmal nach Hause? Wie komme sie an das Geld für die Reparatur oder an ein „neues“ Fahrrad? Wo muss sie dafür nun zurückstecken? Welchen Sinn hat es, die Polizei zu rufen bzw. hinzufahren, nein zu laufen? Ein bisschen Angst spürt sie auch. War das was Persönliches? Sie fühlt sich kurzzeitig nicht mehr sicher.

Eine gute Auflösung dieser Situation wäre Wiedergutmachung durch die verursachende Person. Eine hilfreiche Alternative ist die bewusste Einordnung (Rahmung) des Ereignisses als einmalig, zufällig, nicht so tragisch: „Ich bin selbst unverletzt. Die meisten Menschen sind nicht so.“ Wenn sie den entstandenen unangenehmen Zustand für sich aber nicht auflösen kann, bleiben die Affekte in ihr: Angst, Ärger, Wut und Misstrauen.

Affektlogik bedeutet, dass diese gefühlsgeladene Erfahrung sich auswirkt

- in der Wahrnehmung: Wo sie bisher Fahrradabstellplätze gesehen habe, sieht sie jetzt mögliche „Tatorte“. Wo sie sonst Passanten sieht, sieht sie jetzt potentielle Täter. Im Sinne der Top-Down-Verarbeitung von Reizen wirkt sich hier also die negative Erwartung auf die Wahrnehmung aus.

- im Denken: Lass niemals etwas von Wert unbeaufsichtigt stehen. Traue niemandem! Sei vorsichtig! Alle Menschen sind schlecht. Ihre Affektlogik könnte sich hier als Logik der Angst oder Angstlogik, genauso möglich aber auch als eine Hasslogik niederschlagen

- im Verhalten: Sie geht kaum in Kontakt zu anderen Menschen, weil sie nichts Gutes erwartet. Sie sichert ihre Sachen mehrfach gegen Diebstahl und Beschädigung. Sie prüft aufmerksamer den Ort, wo sie etwas von sich ablegt. Sie schaut sich auch die Menschen in der direkten Umgebung genauer an.

Neben unverarbeiteten, aber bewusst erlebten Situationen wie dieser wirken sich aber auch unbewusst oder unterbewusste Erfahrungen im Sinne der Affektlogik auf unser Leben aus. Menschen, die Schlimmeres erlebt haben, brauchen mehr als einen guten „Rahmen“, um sich wieder sicher zu fühlen. Und manche Erlebnisse, wenn früher und öfter erlebt, hinterlassen tiefe Spuren und können das Verhalten grundlegend bestimmen, ohne dass sie zwingend bewusst zugeordnet werden.

So entstehen durch die Einwirkung von verschiedenen Reizen bestimmte Muster, die Ciompi (1) als Fühl-Denk-Verhaltens-Programme beschreibt. Auf Paul Watzlawicks Axiome der Kommunikation (2) Bezug genommen, erweitert Ciompi das erste Axiom „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Es lässt sich definieren: „Man kann nicht nicht affektiv gestimmt sein.“

Dies zeigt sich dann zum Beispiel im Verlaufe eines Gespräches, wenn starke Emotionen spürbar werden, ohne dass die direkte Zuordnung zum Geschehen eine Erklärung bietet. Gut veranschaulicht wird das durch die „Geschichte mit dem Hammer“ von Paul Watzlawick (2), die ich hier empfehlen möchte.

Tipps zum Thema

Wenn Störungen im Gespräch auftauchen, sind es eher emotional, denn sachlich begründete Belastungen. Wir reagieren dann mit Rückzug oder Überreaktion, was die Kommunikation erschwert oder sogar verhindert. Im Sinne der Aussage „Man kann nicht nicht affektiv gestimmt sein.“ ist es sinnvoll, die Wirkung der Affektlogik auf unser Verhalten als Phänomen erst einmal anzunehmen, mit dem Ziel, die eigenen Reaktionsweisen zu (er)kennen und wenn möglich zu steuern.

Beobachte dein Gesprächsverhalten und das deines Gegenübers hinsichtlich starker emotionaler Beteiligung und prüfe, ob diese situationsangemessen ist! Wenn nicht, dann ist sehr wahrscheinlich, dass du bzw. dein Gegenüber emotional von früheren Erfahrungen geleitet wird, also in Folge unbewusster (!) Affektlogik (re)agierst.

Wenn du störende Einflüsse von Affektlogik wahrnimmst, suche zuerst die Rahmenbedingungen von Gesprächssituationen zu beeinflussen! Sorge zum Beispiel für eine Pause!

Ebenso ist es sinnvoll, die eigene bzw. gemeinsame Zielstellung zu prüfen: Manchmal haben wir auch dann ein gutes Ergebnis erzielt, wenn ein Konflikt geklärt, aber nicht zwingend gelöst ist. Das heißt, dass wir die Unterschiede in unserer Wahrnehmung und in unseren Bedürfnissen anerkennen, also erkennen und aushalten.

Mit Blick auf das Ziel, gute Gespräche bzw. Gespräche gut zu führen, ist ein Blick auf das von Bedeutung, was unser Wohlbefinden ausmacht:

Was tut mir gut? Was tut mir nicht gut? Allein und im Zusammensein mit Anderen, jetzt und in meinem bisherigen Leben? Was macht meinen Selbstwert aus? Wann und wobei erlebe ich mich selbstwirksam? Wie reagiere ich bisher auf Belastungen? Rückzug oder Überreaktion? Woran erkenne ich, dass sich Belastungen negativ auf mich auswirken? Was sind meine „Symptome“?

Wenn die Auswirkungen von Affektlogik nicht ausreichend beeinflusst werden können, kann ein nächster Schritt ein intensiverer Prozess der Selbstbeschäftigung sein, z. B. aber nicht zwingend im Rahmen einer Psychotherapie. Es gibt sehr gute Literatur für die Selbsthilfe (siehe zum Beispiel 1,2 und 3). Hinweise auf einen höheren Bedarf können sein: eine Zunahme von Ängsten; erhöhte Reizbarkeit; Veränderungen im Temperament; fehlendes Einfühlungsvermögen; emotionale Leere; sozialer Rückzug; stark aggressives Verhalten.

Es ist in Gesprächen (fast?) unmöglich, jemanden nicht zu „triggern“. Gibt es dennoch etwas, was wir direkt im Gespräch tun können:

Hier könnte jetzt eine Liste stehen, die u. a. folgende Wörter enthält, die wir vermeiden sollten: nie; (wie) immer; Ja, aber. Da unsere gesprochene Sprache aber zum großen Teil unterbewusst genutzt wird, ist es ein – zumindest im Moment – nicht sehr erfolgversprechendes Unterfangen, das eigene Lexikon „umzuschreiben“. Es könnte sich auf den Sprechenden ähnlich auswirken, wie die Frage an den vorbeilaufenden Tausendfüßler, wie er denn seine Füße setzt: Er kommt ins Stolpern.

Allgemein können wir unsere Sprache dahingehend „abklopfen“, alles, was den Partner be- und abwertet, sein Verhalten generell betrachtet, wenn möglich zu unterlassen. Eine wichtige Grundlage für die Verwendung unserer Sprache ist unsere Haltung zum Gegenüber. Diese können wir verbessern und damit auch unser Verhalten.

Eine Verletzungen möglichst ausschließende Bewusstheit zu erlangen, kann gelingen, wenn wir geduldig den Blick nicht nur auf das SO BITTE NICHT!, sondern auch auf das WIE richten:

Eine gute Gesprächsatmosphäre, besonders im Konfliktgespräch, ist gekennzeichnet durch ein wertschätzendes und ruhiges Vorgehen. Es ist Zeit zwischen der Rede meines Gegenübers und meiner Antwort. Ich gehe reflektierend auf die Aussagen meines Gegenübers ein und bin klar und deutlich in der eigenen Ansprache, partnerschaftlich, in Verantwortung Beider.

Literaturempfehlungen

(1) Ciompi, L. (1982). Affektlogik. Über die Struktur der Psyche und ihre Entwicklung. Ein Beitrag zur Schizophrenieforschung. Stuttgart, Klett-Cotta.

(2) Watzlawick, P. (1983). Anleitung zum Unglücklichsein. München. Piper.

(3) Watzlawick, P., Beavin, J. H, Jackson, D. D. (2000). Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Bern, Huber.

(4) Stahl, St. (2015). Das Kind in dir muss Heimat finden. Der Schlüssel zur Lösung (fast) aller Probleme. München, Kailash.

(5) Bosch, I. (2011). Der Schlüssel zur inneren Heilung. Bewusst leben mit PRI. Berlin, Ullstein.

(6) Jenson, J. (2012). Die Lust am Leben wieder entdecken. Eine Selbsttherapie. Weinheim und Basel. Beltz.